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»Religion ist nicht zur Rache da« Ein Syrer erzählt in der Dresdner KulturKirche über sein Land – und seine Hoffnung

Ein Artikel von Lilli Vostry in der Nummer 23/2015 der Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens „Der Sonntag“ vom 7. Juni

Wie lange der Krieg in Syrien noch dauern wird? Darauf weiß Muawih keine Antwort. »Selbst wenn der Krieg heute aufhören würde, bräuchte es mindestens zehn Jahre, um das zerstörte Land wieder aufzubauen«, sagt Muawih bei einer Gesprächsrunde unter dem Motto »Warum wir hier sind« in der KulturKirche Weinberg in Dresden-Trachenberge.
Der junge schwarzhaarige Mann möchte nicht seinen vollständigen Namen sagen und auch kein Foto von sich in der Zeitung sehen. Er hat in Damaskus Maschinenbau studiert, dort gearbeitet, bevor er 2012 mit einem Stipendium zum Masterstudium an die TU Dresden kam. Das hat er gerade beendet und promoviert jetzt.
Muawih ist kein Flüchtling, sondern er lebt als Migrant in Dresden und spricht inzwischen gut Deutsch. Seine Familie lebt südwestlich von Damaskus. Ihm geht es jedoch ähnlich wie anderen Syrern, denn auch er sei in seinem Heimatland nicht mehr sicher, habe Angst vor Verfolgung. Wenn er zurückkehrte, würde er sofort zum Militärdienst eingezogen. »Ich habe Angst, jemanden umbringen zu müssen«, sagt Muawih. In offenen, nahe gehenden Worten erzählte er vor rund 50 Zuhörern seine Geschichte, vom Alltag seiner Landsleute inmitten der anhaltenden Kämpfe und über die Fluchtgründe aus Syrien. Dazu hatte im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Zeichen. Setzen« die Laurentiuskirchgemeinde Dresden-Trachau in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Informationszentrum Dresden und dem Inkota-Netzwerk zum vierten Mal in diesem Jahr eingeladen.
Angesichts der großen Flüchtlingsströme, die derzeit nach Europa und Deutschland kommen, können sich bei der Gesprächsreihe Einheimische und Menschen aus diesen Ländern austauschen, so Beate Schurath vom Inkota-Netzwerk, Moderatorin der Veranstaltung. Es gebe große soziale Unterschiede, Armut und Korruption in Syrien, durch den Krieg erhielten viele Kinder keine Bildung mehr, beschreibt Muawih die  Situation in seiner Heimat. Der Wegfall des gewohnten Lebens führe zu Haltlosigkeit, dadurch nehme auch die Gewalt in den Familien zu, die oft auf engem Raum in Flüchtlingslagern in den Grenzgebieten untergebracht sind.
Den Vereinten Nationen zufolge flohen fast vier Millionen aus ihrem Land, weitere sechs Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Was die Internationale Gemeinschaft tun kann?, fragte ein junger Mann in der Gesprächsrunde. »Einfach Finger weg und keine Waffenlieferungen mehr nach Syrien«, antwortet Muawih. Rund 80 Prozent der Syrer sind Muslime, zwölf Prozent Christen. Sie alle wollen ihren Glauben frei ausüben und nicht dazu gezwungen werden, so Muawih. Seiner Ansicht nach sollte »Religion nicht zur Rache, sondern zur Vergebung da sein«. Vor dem Krieg gab es alle Religionen, Moscheen und Kirchen in Damaskus friedlich nebeneinander. Er hofft, dass die religiöse Vielfalt seines Landes weiterleben und Syrien eines Tages ein demokratischer Staat sein wird, in dem Menschenrechte respektiert werden.
»Solche Angebote, die globale Themen und Zusammenhänge verständlich und differenziert darstellen, sollten auch im Schulunterricht mehr Platz finden und die Lehrer entsprechend geschult werden«, meint Mara Kayser, Studentin für Afrikanistik, die sich in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit engagiert. Mit Begegnungen wie diesen rückt der Konflikt aus der Ferne ein Stück näher, sagt Pfarrer Michael Schlage von der KulturKirche Weinberg. Es ist geplant, die Reihe »Zeichen.Setzen « ab September monatlich fortzusetzen.

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